Warten im Raum – Über das Leben im Dazwischen
Eine fotografische Serie über das temporäre Leben in einer Flüchtlingsunterkunft im Viererfeld, Bern. Zwischen Ankunft und Ungewissheit, Alltag und Ausnahme – ein stiller Blick auf Räume, die Schutz bieten sollen, und auf Menschen, die gezwungen sind, sich in einem neuen Leben einzurichten.
Sie ist Teil eines mehrjährigen fotografischen Langzeitprojekts, das untersucht, wie Menschen unterschiedliche Räume bewohnen und gestalten.
Die Serie aus dem Viererfeld richtet den Blick auf Menschen, die durch Krieg, Vertreibung und existenzielle Bedrohung gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. Sie suchen Schutz in einem fremden Land – oft abrupt, unvorbereitet, entwurzelt. Die Fotografien greifen diese Übergangszustände auf: Momente der Unsicherheit, Fragilität, aber auch des Alltags und der Anpassung. Was bedeutet es, plötzlich als Fremder in einem neuen Land zu erwachen – nicht aus einem schlechten Traum, sondern aus einer Realität, die grösser ist als jede individuelle Vorstellungskraft?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Sich in ungewohnten Lebensumständen zurechtzufinden, erfordert enorme Kraft – eine Kraft, die vielen nach Flucht und Verlust kaum mehr zur Verfügung steht. Depression, Isolation und das Gefühl, nicht anzukommen, sind verbreitet. Die Serie möchte auch diesen Aspekt sichtbar machen – ohne voyeuristisch zu sein, sondern in stiller Beobachtung, mit Respekt vor der Würde jedes Einzelnen.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie wir in der Schweiz – einem Land, das seit Generationen keinen Krieg mehr erlebt hat – mit Schutzsuchenden umgehen. Nehmen wir diese Menschen wirklich aus Mitgefühl auf, oder oft auch aus momentaner Hilfsbereitschaft, die schnell abnimmt, sobald das Thema aus dem Fokus rückt?
Aus der Perspektive eines Künstlers mit familiärem Hintergrund in einer kurdischen Migrantengemeinschaft ergeben sich zusätzliche Beobachtungen. Die Reaktion auf die Fluchtbewegung aus der Ukraine war in ihrer Offenheit und Symbolik auffallend positiv. Diese Willkommenskultur wirkte fast wie ein gesellschaftlicher Reflex – mit Empathie, medienwirksamer Anteilnahme und sichtbaren Zeichen der Solidarität. Im Gegensatz dazu erleben viele Geflüchtete aus Ländern des Nahen Ostens oder Afrikas Ablehnung, Misstrauen oder gar Kriminalisierung. Diese Unterschiede werfen Fragen auf – nicht als Vorwurf gegenüber einer Gruppe, sondern als Reflexion über gesellschaftliche Wahrnehmung, mediale Repräsentation und historische Prägung.
Das Projekt will nicht urteilen, sondern Raum schaffen für Nuancen, für Fragen, für das Sichtbarmachen einer Wirklichkeit, die meist im Verborgenen bleibt. Es ist ein Versuch, komplexe Lebensrealitäten in Bildern zu fassen – jenseits der Schlagzeilen, mit einem Blick für das, was zwischen den Zeilen geschieht.